Wenn für ein Kind von unverheirateten, aber getrennt lebenden Eltern, die gemeinsame Obhut gerichtlich festgelegt wird, sind die Betreuungszeiten nicht zwangsläufig im Verhältnis von 50% zu 50% zwischen den Eltern aufzuteilen.
In dem hier diskutierten Fall (BGer 5A_463/2022 vom 22. Mai 2023) wurde entschieden, dass das Kind unter der gemeinsamen Sorge beider Eltern steht und eine wechselnde Obhut durch Mutter und Vater festgelegt wurde. Das bedeutet, dass das Kind sowohl von der Mutter als auch vom Vater betreut wird. Unklar blieb jedoch, welcher Elternteil welchen Anteil an der Betreuung übernimmt. Das Obergericht hatte dem Vater einen Betreuungsanteil von 40% zugewiesen. Der Vater legte jedoch Beschwerde ein und forderte, dass die Betreuungszeit zwischen beiden Eltern gleichmässig aufgeteilt wird.
Bei einer vorgesehenen wechselnden Obhut müssen die Betreuungsanteile jedes Elternteils spezifiziert werden. Es gibt allerdings keine strikte Regelung dafür, sondern die jeweiligen Anteile müssen im Einzelfall durch das Gericht festgelegt werden.
Wie bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, steht auch hier das Kindeswohl im Vordergrund. Das Gericht betrachtet die individuellen Umstände und sucht nach einer Lösung, die den Bedürfnissen des Kindes gerecht wird. In einem neueren Urteil 5A_247/2021 vom 10. Januar 2021 lehnte das Bundesgericht eine gleichmässige Aufteilung der Obhut ab und überliess diese Entscheidung dem Ermessen des Gerichts. Es argumentierte, dass eine standardisierte Vorgehensweise den individuellen Gegebenheiten jedes Falls nicht gerecht wird.
Hierbei müssen die Interessen der Eltern in den Hintergrund treten – das Wohl des Kindes steht an erster Stelle.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass selbst bei einer wechselnden Obhut kein Anspruch auf Gleichberechtigung besteht, solange die Betreuungszeiten nicht in einem starken Ungleichgewicht zueinander stehen. Wenn die Differenz in den strittigen Betreuungszeiten gering ist – wie in unserem Fall, in dem das Verhältnis 40% zu 60% und nicht, wie vom Vater gewünscht, 50% zu 50% ist – und die Zuteilung aufgrund einer objektiven Betrachtung des Einzelfalls vorgenommen wurde, kann nicht gefordert werden, dass eine absolute Gleichberechtigung zwischen den Eltern besteht.
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